Die Bluse

Die Bluse

Die Bluse

Story:
Séverine ist eine Studentin der Literaturwissenschaft und lebt mit ihrem Freund Thomas zusammen. Dabei machte sich zunehmend die Monotonie breit. Als Séverine  beim Babysitten ein Mißgeschick widerfährt, bekommt sie eine Bluse geliehen. Plötzlich wird sie von der Welt mit anderen Augen wahrgenommen und es beginnen ein Abenteuer und ein Reifungsprozess.


Meinung:
Der französische Zeichner und Autor Bastien Vivès ist ein Meister. Trotz seinen jungen Jahren, er ist Jahrgang 1984, also gerade 35 Jahre alt, hat er nicht nur schon sehr viele Bände herausgebracht, sondern eigentlich nur gute. Bei manchen muss man zwar leichte Abstriche machen, aber das betrifft bezeichnenderweise meist solche bei denen ein Ko-Autor beteiligt war. Aber gerade bei denen die er komplett in Eigenregie erstellt, also sowohl schreibt als auch zeichnet, entpuppt sich Vivès als genauer Beobachter und nimmt gerne Geschehnisse  aus dem Alltag als Grundlage seiner Geschichten. So etwa in einem seiner Frühwerke Der Geschmack von Chlor in dem es eigentlich nur um einen Schwimmbadbesuch geht bei dem sich jemand in eine junge Frau verliebt.

In der aktuellen Graphic Novel Die Bluse ist es eine scheinbar banale Prämisse die Vivès für seine Erzählung benutzt. Und im Grunde mit „Kleider machen Leute“ eine Binsenweisheit. Die Heldin Severine ist eine Studentin und läuft am liebsten eher „schluffig“ herum, mit T-Shirt und Jeans. Als sie eine Bluse geliehen bekommt und diese anzieht, begegnen ihr auf einmal die Menschen anders als vorher. Was durchaus einen erotischen Akzent hat. Sie wirkt begehrenswerter und attraktiver. Sie fühlt sich anders und gibt sich durchaus sexuellen Abenteuern hin. Das könnte jetzt sehr platt und nach einem Aufhänger für einen Porno gelten. So etwa eine magische Bluse welche alle dazu bringt Sex zu haben. In der Tat klingt hier manchmal ein Einfluss von Varenne und Manara an. Aber es würde zu kurz greifen die Geschichte auf den erotischen Aspekt zu reduzieren, auch wenn er unbestreitbar vorhanden ist.

Vielmehr ist die Erotik ein Symptom des Reifeprozesses der Heldin. Severine fühlt sich einfach anders wenn sie die Bluse anlegt. Erst ist sie ihr fremd weil sie nicht ihr Stil ist und sie nutzt sie als eine Art Verkleidung in der sie sich mehr erlaubt als sie ansonsten tun würde. Deswegen weigert sie sich bei einer Affäre die Bluse auszuziehen. Indem sie aber ihre jugendliche Kleidung ablegt wird sie ernst genommen und nun begegnen ihr die Menschen in ihrer Umgebung unterschiedlich, ja manche nehmen Severine nun das erste Mal überhaupt richtig wahr, wodurch sie selbst gestärkt wird und Selbstvertrauen gewinnt. Hier ist sie nicht mehr Sein als Schein, sondern beides fließt ineinander über und greift ein Phänomen auf, was man auch im Alltag beobachten kann und zu vergleichbaren Experimenten einlädt.

Vivès ist kein Freund des Off-Kommentars und erklärt nichts, sondern lässt Interpretationsspielräume für die Leserinnen und Leser. Der Autor beobachtet und zeigt auch einzelne Handgriffe die sehr flüssig ablaufen und nie zu viel sind. Allein schon die verschiedenen Panels in der Severine die Bluse anzieht sind voller erotischer Spannung. Oder wenn sie ihren Freund auffordernd ansieht, er aber immer an ihr vorbei schaut. In dieser Paarbeziehung wird der Reifeprozess sehr deutlich. Der Freund nimmt die Bluse und damit die Veränderung seiner Freundin nie wahr, sondern ist in seinen Ritualen gefangen und Severine wird immer bewusster das sie nicht zusammen passen. Sie liest ein Buch von Victor Hugo, er spielt Videospiele.

Die Zeichnungen sind wie immer bei Vivès hervorragend und es genügen Blicke und Perspektiven und Bildausschnitte, um Emotionen zu vermitteln. Bei diesem Autor und Zeichner kann man nichts falsch machen da bislang so gut wie alles von ihm überzeugte. Da macht Die Bluse keine Ausnahme und man sollte auf jeden Fall zugreifen.



Fazit:
Wieder ein Meisterwerk von Bastien Vivès. Eine scheinbar banale Prämisse wird hier modern ausgestaltet. Die genaue Beobachtung, die klaren Zeichnungen und der Realismus entfachen einen Sog dem man sich nicht entziehen kann.